Merkmale des frühen Schützenwesens
Die Ausgestaltung des Schützenwesens in Wasserleben unterschied sich nicht wesentlich von der in den anderen Landgemeinden der Grafschaft Wernigerode.
Aufgaben und Pflichten
Die Aufgaben und Pflichten der Schützenbrüder haben sich nach und nach verändert.
Für die ältere Zeit muss in Ermangelung einer Wasserleber Quelle die Schützenordnung von Veckenstedt aus dem Jahr 1546 herangezogen werden1).
Als einzige Aufgabe der Schützen wird darin die Verteidigung der Grafschaft genannt, bemerkenswerter Weise auf freiwilliger Basis. Jeder Schütze, der seinen Beitrag an die Schützenbruderschaft zahlte, übernahm damit gleichzeitig die Pflicht, eine Armbrust oder Büchse für den Ernstfall bereitzuhalten und sich im Schießen auf den Vogel zu üben.
Später im 18. Jahrhundert ist von Landesverteidigung keine Rede mehr. Jetzt standen eher hilfspolizeiliche Aufgaben im Vordergrund, die die Gemeinde in Form von Bier oder Geld entlohnte.
So hatte, wie alle Landgemeinden der Grafschaft, auch Wasserleben Schützen zu stellen, die verurteilte Verbrecher zum Hochgericht geleiten und bei deren Hinrichtung anwesend sein mussten2), etwa am 30.10.1739 „50 Mann Zur Execution des armen Schmides Wageners“3), jeder erhielt ein Stübchen (3,66 l) Bier, oder am 06.11.1744 „30 Mann wegen der armen Sünderin“4), der Kindsmörderin Magdalena Elisabeth Bremmels5).
Bei Untersuchung, Festnahme und Abtransport verdächtiger Personen hatten die Schützen zu helfen. 1739 ist die Rede von „Vier Schützen so den haasen dieb bewachen und nach dem Schloße bringen müßen“6), 1744 waren „die Schützen bei Abhaltung der Landvisitation“ dabei7), und 1745 unterstützten Schützenmeister und Schützen die Geschworenen, als sie „Hanß Himstedt in Arrest nehmen und nach Wernigerode bringen mußten“8).
Am häufigsten wurden die Schützen im Zusammenhang mit der Bewachung und Begleitung von Rekruten eingesetzt. 1745/46, während des Österreichischen Erbfolgekrieges, hatten sie fünf Einsätze: sie mussten Rekruten nach Halberstadt begleiten, in Veckenstedt neu ausgehobene bewachen, einen Rekruten und drei Backknechte aus Wasserleben „arrestiren“ und weitere Rekruten nach Wernigerode bringen9).
Von der Pflicht, eine eigene Waffe vorzuhalten, ist in den Quellen aus dem 18. und 19. Jahrhundert nicht mehr ausdrücklich die Rede. In einer undatierten Notiz (zwischen 1735 und 1769) heißt es lediglich, „daß sich ein jeder [Schütze] auff eine Flinte oder Flintenschloß an seiner Büchse schicke“10). Ein eigenes Gewehr wurde demnach bei einem Schützen stillschweigend vorausgesetzt.
1875 legte der Schützenmeister Heinrich Schilling ein „Reglemant“ vor, eine Schützenordnung, die damals von älteren Mitgliedern angefertigt worden war und auf den heute verschollenen Schützenbüchern von 1787 bis 1874 basierte11).
Wie in der vorangegangenen Schützenordnung von 1735 werden auch in dieser keine öffentlichen Aufgaben der Schützen genannt.
Heise hat die Schützenordnung von 1875 in gut lesbarer Form in seine Chronik aufgenommen.
Quellen und Literatur
1) Jacobs, Eduard: Geschichte des Schützenwesens zu Veckenstedt, 1546-1906, Wernigerode, 1906, S. 8 f
3) Landesarchiv Sachsen-Anhalt, MD, H 9-7, Nr. 1370, Wasserlebische Gemeine-Rechnung und deren Abnahme betreffend 1706-1766, Abrechnung 1739/40, Blatt 56r
4) Landesarchiv Sachsen-Anhalt, MD, H 9-7, Nr. 1370, Wasserlebische Gemeine-Rechnung und deren Abnahme betreffend 1706-1766, Abrechnung 1744/45, Blatt 65v
5) Jacobs, Eduard: Geschichte des Schützenwesens zu Veckenstedt, 1546-1906, Wernigerode, 1906, S. 48
6) Landesarchiv Sachsen-Anhalt, MD, H 9-7, Nr. 1370, Wasserlebische Gemeine-Rechnung und deren Abnahme betreffend 1706-1766, Abrechnung 1739/40, Blatt 29r
Vogel oder Scheibe, Armbrust oder Gewehr
Ob man dabei die Armbrust oder das Gewehr benutzte, bleibt offen. Jacobs meint, dass im 16. und 17. Jahrhundert in der Grafschaft Wernigerode noch beide Waffen gleichzeitig in Gebrauch gewesen sein könnten2).
Zumindest in Wasserleben hat sich das Handrohr als Vorläufer des Gewehrs aber schon frühzeitig durchgesetzt, denn gemäß der Wernigeröder Amtsrechnung von 1605-1606 schossen damals die „...schutzen zu Wasserleer, [...] mitt langen röhren nach der Scheibe...“3).
1734 wird das Scheibenschießen mit dem Gewehr dann aktenkundig.
Beim damaligen doppelten Schützengelage entstanden u.a. Unstimmigkeiten über die Reihenfolge beim Schießen, die eigentlich Hanß Henrich Edler „alß der Scheiben Knecht“ festgelegt hatte4).
Hanß Fuhrmeister wollte aus Wut über seine Zurücksetzung den Scheiben Knecht „...mit der flinte schlagen...“5). Dazu kam es zwar nicht, da ihn Edler „...der eben ein Stücke gegoßen...“ mit dem Messer bedrohte, aber immerhin wissen wir aus dieser Schilderung offiziell, dass 1734 mit Flinten nach der Scheibe geschossen wurde.
Quellen und Literatur
1) Jacobs, Eduard: Pfingstänger oder Pfingstwiesen am Nordharz, in: Zeitschrift des Harz-Vereins für Geschichte und Altertumskunde, 35. Jahrgang, 1902, S. 253-259 (Original des Protokolls z.Zt. [2023] im Landesarchiv Sachsen-Anhalt für die Benutzung gesperrt)
2) Jacobs, Eduard: Geschichte des Schützenwesens zu Veckenstedt, 1546-1906, Wernigerode, 1906, S. 16
3) zitiert nach Jacobs, Eduard: Übersichtliche Geschichte des Schützenwesens in der Grafschaft Wernigerode, Wernigerode, 1886, S. 34, Anm. 86
4) Landesarchiv Sachsen-Anhalt, MD, HA B 98, Fach 4-7 Nr. 33, Schützenwesen in der Grafschaft Wernigerode 1734, Blatt 14r
5) ebd., Blatt 14v
Freischießen oder Schützenfest
Freischießen war die ursprüngliche Bezeichnung für das Schießen.
Dabei kommt der Name nicht von ungefähr, der beste Schütze schoss sich tatsächlich frei, jedenfalls in Wernigerode. So ist der dortige Schützenkönig laut der Schützenordnung von 1603 ein Jahr lang vom Schoß befreit1). In der Schützenordnung von 1729 erhält er zusätzlich eine einjährige Befreiung von Einquartierung2), und 1769 schließlich braucht er für ein Jahr keine Wach- und Herrendienste sowie Vorspann zu leisten3).
Auf den Dörfern der Grafschaft genossen die Schützenkönige wohl keine solche Vergünstigungen. Jacobs berichtet in seiner Geschichte des Veckenstedter Schützenwesens darüber nichts und auch in den Quellen zum Wasserleber Schützenwesen fehlen entsprechende Hinweise.
Dennoch war der Name Freischießen auf den Dörfern geläufig und wird noch heute in seiner plattdeutschen Form als Frieschaten von Älteren genutzt.
Daneben sprach man einfach vom Schießen oder Pfingstschießen, vom Scheibenschießen, Schützenschießen oder Schützengelage, heute heißt es meist Schützenfest.