Anfänge
Hausierhandel
Alles begann mit der Hausiererei: Überschüsse aus der bäuerlichen Wirtschaft und aus Sammeltätigkeit (Heilkräuter, Gewürze, Pilze) wurden in der näheren Umgebung direkt in den Wohnplätzen der möglichen Kunden angeboten1).
So wird es auch in Wasserleben gewesen sein.
Später im Mittelalter erweiterte sich das Sortiment der Hausierer um handwerkliche Produkte, etwa Schmuck, und um seltene Waren, wie Stoffe, Tuche oder auch Handschriften2).
Möglich, dass solche Hausierer an den Feiertagen, an denen sich besonders viele Gläubige wegen des Blutwunders in Wasserleben aufhielten, vor der Kirche einfache Verkaufsstände errichteten3), um ihre Waren anzubieten; womit der erste stationäre Handel im Dorf stattgefunden hätte.
Wie in vielen anderen Klöstern könnten an solchen Tagen auch die Nonnen im Wasserleber Kloster mit Drogen gehandelt haben. Zur Beruhigung: unter Drogen sind hier Arzneimittel, Gewürze, Wachs u.ä. zu verstehen4).
Kram Buden
Der ständige stationäre Einzelhandel entwickelte sich in den Dörfern erst seit dem 18. Jahrhundert5).
In Wasserleben wird in diesem Zusammenhang von den „Kram Buden“ in den beiden Krügen berichtet. Hier konnten die Frauen in einem Zimmer nahe am Eingang ungestört einkaufen, ohne die Gaststube betreten zu müssen6). Das Angebot bestand wohl aus allerlei Viktualien, wie man damals sagte, etwa aus Zucker und Gewürzen, Kolonialwaren oder Heringen und holländischem Käse, aber auch aus anderen nützliche Dingen, z.B. Talglichtern oder Seife7). Salz gab es allerdings nur im alten Krug8).
Ihre Waren bezogen die Kram Buden vermutlich aus Wernigerode. Denkbar, dass die Kundinnen beim Einkaufen auch weitere Waren bestellten, die dann von den Kiepenfrauen bei ihren Botengängen aus der Stadt mitgebracht wurden9).
Sicherlich unter anderem Namen, aber immerhin, bestand noch Anfang des 20. Jahrhunderts im Gasthof „Zum Zoll“ eine solche „Kram Bude“. In der soll es zugleich nach Hering, Petroleum, Schmierseife, sauren Gurken, Wachs, Huf- und Lederfett gerochen haben.
Die Hausierer, die zogen übrigens weiterhin übers Land. Jetzt versorgten sie die ländliche Bevölkerung vorrangig mit seltenen herkunftsorientierten Produkten, vor allem mit Uhren, Spielzeug, Glas- oder Kleineisenwaren10).
Erster stationärer Einzelhandel
Als 1809 im Königreich Westphalen die Gewerbefreiheit eingeführt wurde11), werden auch in Wasserleben die ersten Einzelhandelsgeschäfte gegründet worden sein. Dabei scheint es sich nicht, wie in einigen Nachbarregionen, etwa in der Magdeburger Börde, in erster Linie um Bäcker- und Fleischerläden gehandelt zu haben12).
Allerdings ist die Quellenlage für das 19. Jahrhundert dürftig.
Zuerst sind 1810 nämlich zwei Materialhändler nachweisbar, Johann Heinrich Wöhler (Hof-Nr. 150/Kl. Dorfstr. 5) und Johann Christian Meyer (Hof-Nr. 156/Hauptstr. 28)13). Vor 1812 kam noch Johann Christian Jakob Schultze (Hof-Nr. 22/Kulk 10) dazu14). Als Anbauer (Meyer) oder Kothsassen gehörten sie eher zu den ärmeren Einwohnern und erhofften sich durch den Handel sicherlich einen lukrativen Nebenerwerb.
Doch von einiger Dauer war lediglich der Materialhandel von Schultze, dessen Geschäft sein Enkel Christian Ernst Schulze 1864 übernahm15). Letztmalig taucht der Kaufmann Ernst Schulze im Adressbuch 1912 auf16).
Da das Warenlager nur über die Küche zu erreichen war, wurde der Verkauf wohl einfach am Küchentisch abgewickelt.
Neben Bäcker und Schlachter scheint Schultzes Materialhandel im gesamten 19. Jahrhundert das einzige Einzelhandelsgeschäft in Wasserleben gewesen zu sein.
Was verkaufte ein Materialhändler? Auf dem Dorf handelte er damals vermutlich mit „...allerhand Lebens-Mittel von gedörrten oder eingesalzenen Fleisch, Fischen und Früchten...“17), aber wohl auch mit „...Confituren, ... wie auch Korn-, Franz-, Rheinische und einfache destillirte Branntweine...“18). Jacob Schultze bot vielleicht zusätzlich Schuhe an, er
war nämlich auch Schuhmachermeister19).
Nach der Wiederherstellung Preußens wurde die Gewerbefreiheit zwar wieder eingeschränkt, u.a. musste der Graf nun einem Konzessionsantrag zustimmen20), aber neue Geschäfte, zuerst Bäckereien, sind weiterhin genehmigt worden.
Quellen und Literatur
1) Berekoven, Ludwig: Geschichte des deutschen Einzelhandels, Frankfurt am Main, 1986, S. 14
2) ebd. S. 19 f
3) ebd. S. 20
4) ebd. S. 22
5) ebd. S. 26
6) Landesarchiv Sachsen-Anhalt, MD, H, Nr. 1020, Acta die Verpachtung der Gemeindegüter 1672, Blatt 143v
8) Wernigerödische Intelligenzblatt, 27. Stück vom 04.07.1797, S. 105
9) Landesarchiv Sachsen-Anhalt, MD, H, Nr. 1020, Acta die Verpachtung der Gemeindegüter 1672, Blatt 173r, 176 r
10) Berekoven, Ludwig: Geschichte des deutschen Einzelhandels, Frankfurt am Main, 1986, S. 26
11) Königreich Westphalen, Gesetz Bulletin Nro. 50, Königliches Gesetz Nr. 106 vom 5ten August 1808, die Einführung einer Patent-Steuer betreffend, Kassel, 1808
12) Rach, Hans-Jürgen: Zur Lebensweise und Kultur der Bauern unter den Bedingungen des Kapitalismus der freien Konkurrenz (etwa 1830-1900), S.66 in: Rach, Hans-Jürgen u. Bernhard Weissel (Hrsg.): Bauern und Landarbeiter im Kapitalismus in der Magdeburger Börde, Berlin (Ost), 1982
13) Bevölkerungsetat 1810, Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, MD, H 9-2, 60 Fach 8 Nr. 5. 1810
14) LASA HA St.-WR B 67, Fach 7-9, Nr. 26
15) ebd.
16) Adreß-Buch von Osterwieck/Harz und den umliegenden Ortschaften, Ausgabe 1912, Osterwieck/Harz, o.J.
17) Zedler, Johann Heinrich (Hrsg.): Grosses vollständiges Universallexicon aller Wissenschafften und Künste – Online-Version der Ausgabe Leipzig, Zedler, 1732 –, Herausgeber: Bayerische Staatsbibliothek München und Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel, 1731-1754, www.zedler-lexikon.de (Zugriff am 01.05.2022),„Stichwort: Materialist, Bd. 19, Spalte 2026“
18) Krünitz, Johann Georg. Oekonomischen Encyklopädie oder allgemeines System der Staats- Stadt- Haus- und Landwirthschaft, Artikel „Materialist“, Band 85, 1802. - Online Ausgabe der Universitätsbibliothek Trier http://www.kruenitz.uni-trier.de/ (Zugriff am 01.08.2022)
19) Kirchenbuch der ev. Kirchengemeinde St. Sylvestri Wasserleben, Band 10: Geburten 1801-1808
20) zu Fragen der Konzessionierung siehe Henning, Friedrich-Wilhelm: Die Einführung der Gewerbefreiheit und ihre Auswirkungen auf das Handwerk in Deutschland, S. 154 f, in: Abel, Wilhelm (Hrsg): Handwerksgeschichte in neuer Sicht, Göttingen, 1978