Dienstpflichtige Bauern und Anbauern
Wie im Kapitel „Bevölkerungsstruktur" dargestellt, bildeten zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Einwohner des Dorfes, also alle dienstpflichtigen Bauern und ihre Angehörigen, die größte Gruppe der Bevölkerung von Dorf und Amt Wasserleben.
Die nachfolgende Karte „Wasserleben im frühen 19. Jahrhundert“ gibt Auskunft darüber, wo genau die Höfe der Einwohner lagen. Dabei dient die Liegenschaftskarte von 2013 als Grundlage, die zwar die Grundstücksgrenzen im heutigen Dorf darstellt, aber damit auch eine schnelle Orientierung ermöglicht.
Im Kapitel „Abhängigkeitsverhältnisse" wurden bei Beschreibung der grundherrlichen Abhängigkeiten die Rechtsstreitigkeiten erwähnt, die zwischen den spanndienstpflichtigen Bauern und der Gräflichen Kammer zu Beginn der 1820er Jahre ausgetragen wurden. Zwar drehten sich diese Prozesse in erster Linie um Meyerackerdienste, aber in den Akten werden auch die Dienstpflichten aufgrund anderer Abhängigkeiten aufgeführt.
Diese Informationen bilden die Grundlagen für nachfolgende Tabellen und Erläuterungen, mit denen die Betriebsverhältnisse der einzelnen spann- und handdienstpflichtigen Bauern dargestellt werden sollen.
Vollspänner
Die Vollspänner, auch Ackermänner genannt, bewirtschafteten die größten Höfe in Wasserleben.
Auffällig ist der mit 56,2 % relativ hohe Anteil der Meyeräcker an der gesamten Betriebsfläche. Zu ohnehin ungünstigen Konditionen angepachtet, mussten für deren Bewirtschaftung dem Amt Wasserleben zusätzlich Spanndienste geleistet werden (siehe Kapitel „Abhängigkeitsverhältnisse“, Abschnitt „Grundherrliche Abhängigkeiten“). Die Vollspänner nutzten nur zu 10,6 % abgabefreie Äcker, der niedrigste Wert aller Dienstpflichtigen.
Mit durchschnittlich acht Personen waren die Vollspännerhaushalte vergleichsweise die größten, bemerkenswert ist dabei, dass in diesen Familien kaum mehr Gesinde lebte als in den deutlich kleineren Halbspännerhaushalten.
Bei der Größe der Ackerflächen und der Anzahl der Spanndiensttage kann der hohe Pferdebestand nicht überraschen.
Die Vollspänner leisteten ursprünglich dem Amt Schmatzfeld, dem Amt Wasserleben und dem Vorwerk Wernigerode Spanndienste (siehe Kapitel „Abhängigkeitsverhältnisse“).
Dass sie es mit ihrer Dienstpflicht nicht immer allzu genau nahmen, zeigt der Vergleich der geforderten Diensttage 1820 und der tatsächlich geleisteten Tage in den Jahren 1819 bis 1824, etwas mehr als zehn Prozent kamen da durchschnittlich zusammen.
Aber immerhin, jeder Vollspänner hatte ab 1825 an gut 28 Tagen im Jahr einen Ackerknecht mit Pferden und Wagen oder Pflug zu stellen.
Halbspänner
Im Vergleich zu den Vollspännern und Kärrnern besaßen die Halbspänner fast zwei Drittel ihres Ackers zu guten Konditionen, sie mussten entweder gar keine Abgaben zahlen oder nur die geringen Erbackerzinsen (siehe Kapitel „Abhängigkeitsverhältnisse“, Abschnitt „Grundherrliche Abhängigkeiten“).
Bemerkenswert sind die großen Unterschiede, die bei den Betriebsgrößen in dieser Gruppe auftauchen. Während der Halbspännerhof Nr. 15, abgesehen vom Pfarrhof, mit 105 1/2 pr. Morgen über den meisten Acker im Dorf verfügte, lag der Halbspännerhof Nr. 6 mit 28 pr. Morgen lediglich auf dem Niveau der kleineren Kärrnerhöfe.
Ebenfalls große Unterschiede tauchen bei den Haushaltsgrößen auf, elf Personen wohnten auf dem Hof Nr. 36, nur jeweils vier auf den Höfen Nr. 15, Nr. 83 und Nr. 126.
Der Pferdebestand auf den Halbspännerhöfen entspricht in Beziehung zur Ackerfläche und zur Dienstpflicht dem auf den Vollspännerhöfen. Ein direkter Pferdeliebhaber lässt sich nicht ausmachen.
Auch die Spanndienstpflichten wichen stark voneinander ab.
Auf dem größten Hof, Nr. 15, lastete vor 1825 mit 29 Spanndiensttagen nach Schmatzfeld zwar eine überdurchschnittlich hohe Dienstpflicht, aber bei den kleineren Höfen Nr. 151 (49 1/2 pr. Morgen) und Nr. 83 (47 3/4 pr. Morgen) war sie mit 33 Tagen und besonders bei Nr. 1 (76 1/2 pr. Morgen) mit 37 Tagen deutlich höher.
Nach der Neuordnung blieben die großen Unterschiede bestehen, vom Hof Nr. 97 (69 1/2 pr. Morgen) mussten 36 1/2 Tage gedient werden, von Nr. 15 nur 14 Tage und lediglich 7 1/2 bzw. 7 Tage von den Höfen Nr. 14 (56 pr. Morgen) und Nr. 83 (47 3/4 pr. Morgen).
Kärrner
Noch mehr als die Vollspänner, nutzten die Kärrner die Meyeräcker, 66,0 % der durchschnittlichen Betriebsfläche machte der entsprechende Anteil aus.
Die ungünstigen Besitzverhältnisse hinsichtlich dieser Äcker war den Kärrnern erst schmerzlich bewusst geworden, als die Gräfliche Kammer die Meyeräcker 1818 eingezogen hatte. Nachdem sie einige Jahre später wieder ausgegeben wurden, war zwar das Ärgste überstanden, aber die alte Unsicherheit blieb bestehen (siehe Kapitel „Abhängigkeitsverhältnisse“, Abschnitt „Grundherrliche Abhängigkeiten“).
Nur der Kärrnerhof Nr. 135 verfügte über eine ähnlich große Betriebsfläche, wie die kleineren Halbspännerhöfe, alle anderen hatten mit unter 30 pr. Morgen eher wenig Acker.
Auf den Kärrnerhöfen wohnten durchschnittlich mehr Personen als auf den Höfen der Halbspänner und der spanndienstpflichtigen Kothsassen.
Bemerkenswert: obwohl 1822 von den Höfen Nr. 32 und Nr. 99 noch Spanndienste erbracht werden mussten, fehlten hier die Pferde.
Im Gegensatz zu den anderen Spanndienstpflichtigen lösten die Kärrner die meisten Dienste bereits 1813 ab.
Allerdings machte die jährliche Zahlung für die Ablösung der Spanndienste nach Wernigerode vielen Kärrnern zu schaffen, immer wieder gerieten sie in Zahlungsverzug und mussten die Gräfliche Kammer um Stundung bitten (siehe Kapitel „Bauernbefreiung“).
Zu Beginn der 1820er Jahre konnten sie wieder Meyeräcker übernehmen und mussten dafür keine Spanndienste mehr leisten. Die zweispännigen Pflugtage, die ab 1825 auf dem Amt Wasserleben zu dienen waren, hatten ihren Ursprung in den 1820 geforderten Diensttagen zum Amt Schmatzfeld.
In diesem Zusammenhang ganz interessant: als der Amtmann Stern aus Drübeck der Gräflichen Kammer 1813 einen Bericht über tatsächlich geleistete Dientsttage vorlegte, erwähnte er die Praxis der Diensterfassung: „Der Homeister [von Schmatzfeld] welchen ich für einen Erlichen Mann gehalten, hat über die geleisteten Tage mit den Dienstpflichtigen Kerbhölzer gehalten…".1)
Nach Auswertung der Kerbhölzer erhielten die Bauern vermutlich einen Stundenzettel2), wie den nebenstehenden, mit folgendem transkribierten Text:
Daß die Kärner:
Michael Schaper
Emanuel Feuerstak und
Heinrich Ziesing, aus
Wasserleben, ein Fuder,
Rieben und einen halben Tag,
zweyspännige Baufuhren gelei-
stet haben bescheinige hierdurch.
Schmatzfeld am 18 Junii 1826.
Reischel.
Quellen
1) Landesarchiv Sachsen-Anhalt, MD, H 9-26, R XI, Nr. 10, Kärrnerdienstablösung 1813, Blatt 5r
2) Landesarchiv Sachsen-Anhalt, MD, H 9-26, R XI, Nr. 15, Spanndienstablösung 1819, Blatt 99r
Kothsassen
Die Kothsassen, für die sich im 19. Jahrhundert allmählich die preußische Bezeichnung Kossaten durchsetzte, bildeten eine sehr uneinheitliche Gruppe: sie enthielt einerseits spanndienstpflichtige Kothsassen andererseits handdienstpflichtige, einerseits Kothsassen mit einer weiteren Erwerbstätigkeit und andererseits diejenigen, die nur Landwirtschaft betrieben.
Spanndienstpflichtige Kothsassen
Spanndienstpflichtige Kothsassen dürfte es eigentlich gar nicht gegeben haben, denn gemäß der landläufigen Definition zeichnet einen Kothsassen Handdienstpflicht aus. Aber wie so oft: keine Regel ohne Ausnahme.
In Wasserleben mussten jedenfalls von sieben Kothsassenhöfen Spanndienste geleistet werden. Es erschließt sich nicht, warum gerade diese Höfe betroffen waren, denn auf vier von ihnen fehlten 1813 die Pferde1), die ja eigentlich zum Spanndienst unerlässlich gewesen wären. Zudem hatten sieben andere Kothsassen, ein Anbauer und ein Beiwohner Pferde, ohne einen entsprechenden Dienst leisten zu müssen.
Ein Blick in die Gemeinderechnung von 1748/49 bringt auch keine Klarheit, zwar wurden damals zusätzlich auf den Höfen Nr. 93 und 103 Pferde gehalten, aber eben nicht auf allen2). Die Spanndienstpflicht kann also nicht mit ständiger Pferdehaltung in Verbindung gebracht werden.
Ebenso wenig dürfte es sich hier um ehemalige Voll- oder Halbspännerhöfe handeln, denn fast alle lassen sich bis mindesten 1689/16983) als Kothsassenhöfe zurückverfolgen, Nr. 19 ist zwar jünger, wird aber 1722 bei der erstmaligen Erwähnung als Schmiede und eben auch als Kothsassenhof bezeichnet.
Am wahrscheinlichsten ist es, dass es irgendwann einmal den Betreibern dieser Höfe ausdrücklich erlaubt wurde, Pferde zu halten, wenn sie im Gegenzug bereit waren, Spanndienste auf sich zu nehmen.
Die Betriebsgrößen waren bei den spanndienstleistenden Kothsassen ziemlich ausgeglichen und bewegten sich zwischen 20 und 30 pr. Morgen, also in etwa auf dem Niveau der Kärrnerhöfe. Allerdings lebten weniger Menschen auf den Höfen und der Pferdebestand blieb gering.
Wie Voll- und Halbspänner sind auch die spanndienstpflichtigen Kothsassen ihren Dienstverpflichtungen vor 1825 eher zögerlich nachgekommen.
Der Vergleich zeigt, dass die zu Spanndiensten verpflichteten Kothsassen insgesamt stärker belastet waren als die Kärrner, zumal bis zur Ablösung im Jahr 1818 von allen sieben Höfen zusätzlich Handdienste erbracht werden mussten.
Gemäß welcher Kriterien die Spanndienste nach 1825 neu festgelegt wurden und warum plötzlich zwei zusätzliche Höfe solche Dienste zu leisten hatten und andererseits ein Hof davon befreit wurde, ist unklar.
Kothsassen ohne ständigen Zu- oder Nebenerwerb
Die Größe der Höfe dieser „klassischen“ Kothsassen, die neben ihrer landwirtschaftlichen Tätigkeit keinem weiteren ständigen Erwerb nachgingen, variiert zwischen 31 pr. Morgen beim Hof Nr. 141 und 2 pr. Morgen beim Hof Nr. 116.
Dabei ist sehr fraglich, ob die Erträge von den Höfen mit unterdurchschnittlicher Ackerfläche überhaupt ausreichten, um die angemessene Ernährung einer Familie sicherzustellen. Vermutlich war ein zeitweiser Zuerwerb als Tagelöhner auf größeren Höfen unerlässlich. Immerhin, diese Kothsassen bewirtschafteten zu über 50 % eigenen Acker und die Quote des „teuren“ Meyerackers war vergleichsweise gering.
Es fällt auf, dass auf sieben Höfen 1809 auch Gesinde arbeitete, interessant ist hierbei besonders der Hof Nr. 45 mit nur 6 pr. Morgen Acker, auf dem eine große Familie von acht Personen und ein familienfremder Knecht wohnten.
Obwohl diese Höfe nicht spanndienstpflichtig waren, wurden auf fünf von ihnen Pferde gehalten.
Kothsassen mit Zu- oder im Nebenwerb
Schon unter den spanndienstpflichtigen Kothsassen gab es mit Christoph Steinbrecher einen Bauern, der neben seiner Landwirtschaft zeitweise einen weiteren Betrieb, hier das untere Gemeinde-Backhaus, gepachtet hatte.
Solche Verhältnisse finden sich bei den Kothsassen mit Zu- oder im Nebenerwerb ebenfalls: Christoph Schaper führte neben seinem Kothsassenhof Nr. 80 auch den oberen Krug, Michael Gehrmann war Bäcker im oberen Backhaus und hatte nur das Wohnhaus auf seinem Hof Nr. 120 vermietet, und Heinrich Fuhrmeister, der Krüger des unteren Kruges, betrieb mit seinem Schwiegervater Christoph Brand den Hof Nr. 133.
Alle anderen in nachfolgender Tabelle aufgeführten Kothsassen übten ständig eine zweite Erwerbstätigkeit aus, wobei 22 von ihnen als selbständige Handwerker arbeiteten.
Insgesamt waren die Höfe mit Zu- oder im Nebenerwerb nur etwa halb so groß, wie die der Kothsassen, die nur Landwirtschaft betrieben. Dem größten Hof, Nr. 106 mit 21 pr. Morgen Acker, standen etliche Höfe mir nur 1 pr. Morgen Acker gegenüber.
Erstaunlich ist, dass lediglich in drei Betrieben Gesinde mitarbeitete, gerade bei Handwerkern hätte man mehr Knechte und Mägde erwartet.
Zum Abschluss noch ein Bild:
Chodowiecki stellt hier 1777 einen Kleinbauern
dar, der seinen Acker mit einem Ochsengespann
umpflügt. So ähnlich dürfte es zu der Zeit auch bei
vielen Kothsassen in Wasserleben zugegangen sein.
Bereits im Vertrag vom 31.07.1818 lösten sämtliche 98 Kothsassen ihre Handdienste gegen eine Zahlung von 980 Thalern in Gold ab, für jeden also 10 Thaler in Gold oder 11 Thaler courant. Sicherlich hatten die Kothsassen auf den kleinen Höfen damit zu kämpfen, dass im Gegenzug auch die Emolumente wegfielen, es gab nun weder die zehnte Garbe beim Schnitt vom Winterkorn noch Naturalien in Form von Speisen und Getränken, die bisher bei der Arbeit gereicht wurden (zu Handdiensten und Emolumenten siehe Kapitel „Abhängigkeitsverhältnisse“, Abschnitt „Gerichtsherrliche Abhängigkeiten“).
Abbildung
Pflügender Bauer: Chodiwiecki, Daniel: Die Monate oder auch Jahreszeiten genannt, Blatt 3, 1777
Quellen
1) Seelen- u. Viehlisten 1813, Landesarchiv Sachsen-Anhalt, H 9-7, Nr. 81, Blatt 49r ff
2) Gemeinderechnung 1748/49, Landesarchiv Sachsen-Anhalt, MD, H 9-7, Nr. 1370, VIII
3) Contributionsliste 1689, Landesarchiv Sachsen-Anhalt, MD, H.A. B 30, Fach 2, Nr. 7 und Profession in Loco 1698, Landesarchiv Sachsen-Anhalt, MD, H.A. B 94, Fach 4, Nr. 5
Anbauern
Die Anbauern besaßen einen eigenen Hof und betrieben eine kleine Landwirtschaft. Der Höfe unterlagen nicht der Dienstpflicht, dafür genossen die Anbauern aber auch nur in geringem Maße die Vorteile der nachbarlichen Gerechtigkeit. So hatten sie zwar vollen Anteil am Weiderecht, durften aber bloß an bestimmten Tagen Holz sammeln. Von der Grasteilung und dem Hürdenschlag waren sie ausgeschlossen1).
An der dörflichen Selbstverwaltung nahmen sie nicht teil, aber sie konnten sich immerhin zu Krügern, Bäckern oder Hirten wählen lassen, hatten also eine Art passives Wahlrecht.
Nur ein einziger Anbauer bewirtschaftete ½ pr. Morgen Meyeracker, ansonsten überwog abgabefreier Acker. Die Höfe waren um einiges kleiner als die der Kothsassen mit Zu- oder Nebenerwerb. Und wie diese übten auch alle Anbauer eine zusätzliche Erwerbstätigkeit aus, allerdings waren sie in erster Linie als Tagelöhner oder Drescher tätig, als Handwerker arbeiteten lediglich fünf (incl. Chirurg).
Dem Hof Nr. 165, 1805 ausdrücklich als Anbauernhof bezeichnet2), fehlte 1822 der Acker. Da die Anbauern über ihn selber verfügen konnten und er im Durchschnitt zu 75 % abgabefrei war, geschah es nicht selten, dass durch Vererbung, Verkauf oder Verpfändung der gesamte Acker verloren ging.
Quellen
1) Zustand der Komunal-Ordnung von Wasserleben im Jahre 1830, unveröffentlichte Maschinenabschrift von 1951 (Original verschollen), Wasserleben, 1951, S. 2
2) Kirchenbuch der ev. Kirchengemeinde St. Sylvestri Wasserleben, Band 6: Taufen 1790-1806