Gemeindekrüge
Seit alters her gab es in Wasserleben einen Gemeindekrug.
Schon 1490 wurde er in einer Urkunde als „tafferne“ erwähnt1). Später ist von Gemeindekrug oder Gemeindeschenke die Rede.Umgangssprachlich hieß er auf Platt einfach „de Krauch“, als im 18. Jahrhundert eine zweite Gaststätte dazukam, „de oole Krauch“ und „de niee Krauch“
Nur die erwachsenen Männer des Dorfes besuchten die Krüge, wo sie bei Bier und Branntwein zusammen saßen; die Sperrstunde war früh, 1763 hieß es in einer Ermahnung, die Wirte sollen darauf achten, „…nach 10 Uhr [abends] keine ein heimischen Gäste Zu haben bey 10 rthla) Straffe…“2).
Wie im nebenstehenden Bild, waren auch die Gaststuben der Wasserleber Krüge nur mit Tischen und Bänken und einigen Stühlen ausgestattet, ein Tresen fehlte3).
Das Bier wurde scheinbar direkt im Bierkeller gezapft. Denn in beiden Krügen waren nur hier je ein kupfernes Halbstübchen- und Quartmaß vorhandenb), sowie ein Pfennigmaß für Branntwein4).
Jeder Gast benutzte seinen eigenen Krug oder sein eigenes Glas.
Dabei erforderten außergewöhnliche Anlässe natürlich spezielle Maßnahmen: „Ißt in Waßerleben eine besondere gewohnheit, dem Ambte aber Zeither unbekand geweßen, daß die Knechte allhier im Dorffe einen Zinnernen Willkommen haben. Wenn nun ein junger oder Enkerc) ein Knecht wird, muß Er den anderen 2 Thaler Zum besten geben, und dazu den Willkommen voll bier aussauffen5).
Einen Anklang dieser Sitte findet man heute noch beim Schützenfest, wo auch ein „Zinnerner Willkomm“, gefüllt mit Mehrfrucht, Kirsch oder Pfeffi, umgeht.
Datenschutz spielte damals keine Rolle, im Gegenteil, die Gäste beschwerten sich 1711, weil der Krüger die „…an schreibung der schulten in seinem Buch [vornahm] und nicht an ein öffentliches Brett wie es in ander Krügen und Gemeinden gebrauchlich"6).
Die gräfliche Verwaltung mahnte in diesem Zusammenhang „Er [der Krüger] muß aber dabei bedacht seyn, daß er Keinem, so ihm schon über 1 thl schuldig, weiter mehr borget…“7). Denn „…von den leuten [sei] vor dem herbst Kein baar geld Zu hoffen…“8).
Ihre Schulden bezahlten die Gäste also üblicherweise nach der Ernte.
Und wenn man bedenkt, dass 1705 insgesamt 99 Thaler angeschrieben worden waren9), muss das Brett damals ein großes gewesen sein.
Viele Gäste verschwanden während und nach dem Biergenuss in Richtung Schweinestall, „…in diesem stalle ist ein heimlicher abtritt woVor eine Thür…“ heißt es vom Alten Krug, im Neuen Krug gab es sogar zwei dieser geheimen Orte10).
Frauen betraten die Gaststube nur in Ausnahmefällen, etwa um Bier für den Außer-Haus-Verzehr einzukaufen oder um einen trunkenen Zecher nach Hause zu geleiteten.
An Versammlungen, geselligen Abenden oder gar an Gelagen nahmen sie nicht teil.
Wenn ein Tanzvergnügen veranstaltet werden sollte - Mädchen und Frauen sind dazu natürlich unabdingbar - musste der Pastor um seine ausdrückliche Genehmigung gebeten werden11).
Vielleicht ging es beim Tanz in Wasserleben ähnlich vergnügt zu, wie im Bild rechts.
Vor allem preußische Militär- und Zivilbeamte und Soldaten übernachteten in den Krügen. Wurden sie von Frauen begleitet, durften diese selbstverständlich mit in die Gaststube (siehe Abb. Schankstube im 18. Jahrhundert).
Dabei war die Versorgung der Reisenden nicht immer sichergestellt. Über Christian Kuntze, 1762 Wirt im Neuen Krug, hieß es in einer Beschwerde, dass er „…eine sehr üble Wirtschaft führe indem Er denen Gästen und Passagier wenn sie schon Essen forderten, dergleichen Zu geben außer Stande sey, Zu maßen Er der Wirthschaft gar nicht Vorstehen könte, … Derselbe seye selten Zu hause, und hätte Von Naturalien keinen Vorrath.“12)
Schmalhans war da also Küchenmeister.
Die Fremdenzimmer für Reisende waren äußerst karg eingerichtet13).
Nebenstehendes Bild dürfte die damaligen Zustände ziemlich genau widerspiegeln. Die Kammern der beiden Wasserleber Krüge hatten allerdings noch nicht einmal Öfen14).
Beide Krüge verfügten über große Ställe für die Pferde der Reisenden. In ihnen standen aber auch eigene Pferde des Krügers, mit denen Vorspann geleistet werden konnte15). Gegen Entgelt zogen diese Vorspannpferde Kutschen und Wagen, vor allem der Zivil- und Militärbeamten, bis zur nächsten Rast und, wenn möglich, kamen sie dann mit anderen Reisenden zurück, die in entgegengesetzter Richtung unterwegs waren.
In jedem Krug befand sich nahe am Eingang eine „…Von Brettern gemachte Kram Bude, woVor eine gute Thür mit Einem schloß und schlißel…“16) (siehe hierzu das „Warenhaus des Dorfes“ im späteren Gasthof „Zum Zoll“).
Ohne die Gaststube betreten zu müssen, konnten die Frauen hier Zucker und Gewürze, Kolonialwaren, wohl auch Nähutensilien und andere nützliche Dinge einkaufen.
Da Bier als übliches Getränk ständig vorrätig zu sein hatte, nahmen sie beim Einkauf vermutlich gleich noch einen frisch gefüllten Krug mit nach Hause.
Das unentbehrliche Salz gab es allerdings nur im Alten Krug. Die Bestätigung der Krüger-Köhr 1751 erinnert den Krüger daran, einen Salzkasten und eine Lastd) Salz vorrätig zu halten und „…die Saltz Sellerey ohne deswegen von der Gemeinde etwas zu fordern Zu übernehmen.“17)
1763 präzisiert die damalige Bestätigung: „…wo bey ihm [dem Krüger im Alten Krug] aufgegeben, das Saltz gegen billige bezahlung und auch nicht über den gesetzten Preyß Zu verkauffen auch von denen Käuffers die Metzen18) reinigen Zu laßen, dagegen ihm die Gemeinde den erweißlichen Schaden gut zu thun hat, damit die Armuth nicht Ursache Zu queeruliren finde.“19).
Das Salzgeschäft stand unter königlicher Aufsicht, der Verkaufspreis von einem Guten Groschen pro Metzee) war behördlich festgelegt und orientierte sich an der Kaufkraft der Armen.
Ein Geschäft war damit vermutlich nicht zu machen.
Vom eben erwähnten Salzkasten waren es nur wenige Schritte bis zum so genannten Rathaus, einer Kammer im Alten Krug, die bis zur Eröffnung des Neuen Kruges als Verwaltungssitz des Dorfes diente, und wo „…die gemeinde Brieffschaften und gemeinde Rechnung etc...“ in einem alten Kasten aufbewahrt wurden20).
Mehr Bequemlichkeit fanden die Geschworenenf) im Neuen Krug, nicht nur dass ihre Stube beheizt werden konnte, neben Bänken vervollständigte „… ein guter Tisch darunter eine SchubKasten Vor die gemeinde Sachen…“ die Ausstattung, auch von „Einem guten Tinde Faß Vor die geschwornen Von Bley.“21) ist die Rede.
Zusätzlich wurde in der Geschworenenstube „1 Scheffel mit Eysen beschlagen“ vorgehalteng), um die Kornmaße eichen zu können22).
Die Gemeindekrüge verloren ihre Monopolstellung im frühen 19. Jahrhundert.
Ab dem 01.01.1809 gewährte das Königreich Westphalen seinen Bürgern Gewerbefreiheit23), die dann nach 1814 in preußischer Zeit im Kern beibehalten wurde.
Prinzipiell konnte nun jedermann eine Gaststätte eröffnen, ohne auf die Zustimmung der Gemeinde oder des Grafen angewiesen zu sein.
H.-G. Krasberg 2018
Abbildungen
Schankstube 18. Jahrhundert: Gaststube in einem ländlichen Wirtshaus, 1773 - Quelle: Chodowiecki, Daniel: Von Berlin nach Danzig, eine Künstlerfahrt im Jahre 1773, Faksimiledrucke, Berlin, o.J. (etwa 1900)
Schlafraum 18. Jahrhundert: Schlafraum in einem ländlichen Wirtshaus, 1773 - Quelle: Chodowiecki, Daniel: Von Berlin nach Danzig, eine Künstlerfahrt im Jahre 1773, Faksimiledrucke, Berlin, o.J. (etwa 1900)
Tanzvergnügen: Tanzvergnügen auf dem Dorf – Quelle: Busch, Wilhelm: Humoristischer Hausschatz, Berlin u. Darmstadt, 1958
Anmerkungen
a) 1 rthl (Reichsthaler) = 24 ggr (Gute Groschen) = 288 pf (Pfennig)
b) ½ Wernigeröder Stübchen = 2 Wernigeröder Quart ~ 1,8 l
c) Jungknecht
d) Salzgewicht, vermutl. um die 1700 kg
e) Hohlgefäß, 1 Wernigeröder Metze ~ 2,3 l
f) je zwei Bauern, für ein Jahr als Geschworene gewählt, verwalteten das Dorf
g) 1 Wernigeröder Scheffel ~ 36,5 l
Quellen und Literatur
1) Heise, Wilhelm: Chronik des Dorfes Wasserleben, handschriftlich, unveröffentlicht, 4 Bde., Wasserleben, 1964, Bd. 1, S. 70
2) Landesarchiv Sachsen-Anhalt, MD, H, Nr. 1020, Acta die Verpachtung der Gemeindegüter 1672, Blatt 251r
3) ebd., Blatt 142r, 145r, 211v, 216r
4) ebd., Blatt 142r, 211v, 217v
5) Landesarchiv Sachsen-Anhalt, MD, HA B 98, Fach 4-7, Nr. 33, Schützenwesen in der
Grafschaft Wernigerode 1734, Blatt 11r
6) Landesarchiv Sachsen-Anhalt, MD, H, Nr. 1020, Acta die Verpachtung der Gemeindegüter 1672, Blatt 31r
7) ebd., Blatt 62r
8) ebd., Blatt 72r
9) ebd., Blatt 13r
10) ebd., Blatt 143v, 214r, 215r
11) Landesarchiv Sachsen-Anhalt, MD, HA B 98, Fach 4-7, Nr. 33, Schützenwesen in der
Grafschaft Wernigerode 1734, Blatt 11v
12) Landesarchiv Sachsen-Anhalt, MD, H, Nr. 1020, Acta die Verpachtung der Gemeindegüter 1672, Blatt 238r
13) ebd., Blatt 142r ff, 211r ff
14) ebd.
15) ebd., Blatt 68r
16) ebd., Blatt 143v
17) ebd., Blatt 173r, 176r
18) ebd., Blatt 123r f
19) ebd., Blatt 195v
20) ebd., Blatt 142v
21) ebd., Blatt 145r
22) ebd., Blatt 217v
23) Königreich Westphalen, Gesetz Bulletin Nro. 50, Königliches Gesetz Nr. 106 vom 5ten August 1808, die Einführung einer Patent-Steuer betreffend, Kassel, 1808