Schützengelage und Exzesse
Es ist ja keinesfalls so, dass im Jahr 1734 überhaupt nichts bemerkenswertes passierte; zwar haben sich weder in der großen weiten Welt, noch in Deutschland oder in Preußen herausragende Ereignisse zugetragen, aber in der Grafschaft Wernigerode, da geschah ungeheuerliches! In Wasserleben wurde im Mai 1734 ein doppeltes Pfingstschießen, oder wie es damals hieß, Schützengelage, abgehalten1).
Vorgeschichte
Angefangen hatte alles mit Nahrungsentzug und Amtsanmaßung.
Beim Pfingstschießen 1733 weigerte sich der damalige Schützenmeister Hanß Heinrich Veckenstett, seinen Schützenbrüdern das übliche Festmahl auszurichten. Hanß Heinrich Schrader packte die Gelegenheit beim Schopf, spendierte das gewünschte Essen, und sicherte sich so für das nächste Jahr das Amt des Schützenmeisters.
Irgendwann im Winter 1733/34 wurden dann die beiden Wasserleber Geschworenena) vom Hofjäger aufgefordert, Schützen als Helfer bei einer geheimen General-Visitation zu benennen. Was da im Geheimen visitiert, also untersucht werden sollte, ist nicht überliefert, aber da der Hofjäger die Geschworenen angesprochen hatte, handelte es sich vielleicht um eine Zählung des Wildbestandes.
Die Geschworenen konnten schnell reagieren, denn ihr Amtsraum im Alten Krug lag direkt neben der Schankstube2). Sie werden also hinüber gegangen sein und werden dann einfach gefragt haben, wer zu dieser Aufgabe bereit sei.
Und genau das war ihr Fehler!
Denn sie hatten jemanden übersehen. Unter den Gästen befand sich nämlich auch der amtierende Schützenmeister Hanß Heinrich Schrader, und der hat das Verhalten der Geschworenen „übel empfunden“. Sein Zorn darüber, dass man nicht ihm die Auswahl der Helfer überlassen hatte, war so groß, dass er sofort sein Amt niederlegte.
Michel Wendt, der Krüger der Neuen Schenke, ergriff die sich bietende Chance „…willst du nicht SchützenMeister seyn, so will ich“. Schrader reagiert sofort „…dir will ichs abtreten, und giebt Wendten die hand darauf.“
Zum Pfingstschießen 1734 wiederholte sich das Versorgungsproblem des Vorjahres. Nun verweigerte Wendt den Schützen die Ausrichtung des Festmahls. Schrader jedoch, der scheinbar seinen Amtsverzicht längst bereute, bot jetzt ein Essen an; natürlich wollte er dafür als Schützenmeister wieder eingesetzt werden.
Acht Schützen schlugen sich auf seine Seite und feierten am dritten Pfingsttag ihr Schützengelage, schossen allerdings nicht auf dem Schützenplatz, sondern in einem privaten Garten und aßen und tranken danach in Schraders Haus.
Einen Tag später versammelten sich elf Schützen um Michel Wendt, tranken ihr Bier, „…ohne Maalzeit aus…“ und schossen auf dem Großen Anger, dem damaligen Schützenplatz.
In Wernigerode rief diese zweifache Veranstaltung Stirnrunzeln hervor. Als sich dann noch Pastor Reckhart über „die bey dem schießen vorgefallenen excesse“ beschwerte, wurde eine juristische Untersuchung in gang gesetzt.
Die entsprechende Verhandlung fand im Juni 1734 statt. Wendt führte Anfang Juli ein zusätzliches Schießen durch, bei dem es zu Handgreiflichkeiten kam, „…und ein ander die Krüge nach den Köpffen geworffen…“ wurden. Dies zog eine weitere Untersuchung nach sich3).
Den Befragungen der Geschworenen, der Krüger und der Schützen im Rahmen dieser Untersuchung sowie der neuen Schützenordnung von 17354) die aus den Ereignissen des Vorjahres hervorging, verdanken wir heute genaue Einblicke in das Wasserleber Schützenwesen der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Ähnliche Verhältnisse dürften damals auch in den anderen Landgemeinden der Grafschaft geherrscht haben.
Termin
Bis in die Mitte der 1730er Jahre hinein fand das Pfingstschießen am dritten Pfingsttag statt, heute leider Werktag.
Die neue Schützenordnung von 1735 verschob das Ereignis um einen Tag: „Soll der Tag nach Pfingsten zum Schießen angewendet werden,…“. Dies war sicherlich eine Auswirkung des Pietismus5), der in der Kirche der Grafschaft immer stärker an Einfluss gewann: ein heiliger Feiertag war mit einem Schützengelage unvereinbar.
An dem Festtag galt vermutlich nicht nur für die aktiven Schützen Dienstfreiheit, sondern für alle Dienstpflichtigen. Denn in einem Vergleich wird auf die Gemeinden, und nicht speziell auf die Schützen Bezug genommen: „die anderen Gemeinden, als Drübeck und Silstedt haben die Dienstfreyheit“. Eventuell anstehende Spann- oder Handdienste mussten an diesem Tag also nicht geleistet werden.
Schützen
Die Teilnahme am Pfingstschießen war freiwillig. „Sollen Zum wenigsten 14 Schützen seyn.“ bestimmte die erwähnte Ordnung. Fanden sich nicht genug Aktive, so fiel das Fest aus. Es bestand augenscheinlich keinerlei Pflicht das Schießen durchzuführen, eine Verweigerung, am Schießen teilzunehmen, zog wohl keine Konsequenzen nach sich.
Fraglich aber, ob umgekehrt jeder Freiwillige so einfach schießen konnte. Einige vermutlich notwendige Voraussetzungen erschließen sich aus den Lebensdaten, die für alle 21 Aktive von 1734 bekannt sind6).
Demnach fallen folgende Gemeinsamkeiten auf:
Alle 21 Schützen waren verheiratet.
Und alle bewirtschafteten einen Hof.
Überdurchschnittlich viele Vollspänner oder Ackermänner und Halbspänner schossen mit, nämlich drei von den damals fünf in Wasserleben ansässigen Vollspännern und acht der 21 Halbspänner. Von den zehn Kärrnern beteiligte sich niemand und von den 98 Kothsassen nahmen nur zehn teil. Sieben dieser zehn Kothsassen betrieben zudem noch ein Handwerk.
Das Durchschnittsalter der Teilnehmer lag bei etwa 38 Jahren, Andreas Calmes als ältester zählte 50, Hanß Jochim Frieman als jüngster 23 Jahre.
Offensichtlich schossen sie mit eigenen Gewehren; denn ein „Übeltäter“, der seine Strafe, etwa wegen Fluchens, nicht bezahlen konnte, mußte „…davor dem Schützen Meister sein Gewehr in arrest laßen“.
Also: der typische Schütze des Jahres 1734
- war natürlich ein Wasserleber Einwohner, verheiratet, somit nicht mehr ganz grün hinter den Ohren und zudem im besten Mannesalter;
- lebte als Bauer mit einem größeren Hof oder als Handwerker mit zusätzlicher Landwirtschaft in halbwegs gesicherten Verhältnissen, was ihm nicht zuletzt die Anschaffung eines Gewehres ermöglichte;
- und hatte als Hofbesitzer Anteil an der „nachbarlichen Gerechtigkeit“.
Der Schützenmeister ragte als einziger Funktionsträger aus der Schar der Schützenbrüder hervor. In seine Wahl mischte sich die Obrigkeit nicht ein: „Bleibet deren Schützen frey, den Schützen Meister nach Gefallen zu wählen …“.
Er leitete das Fest und sorgte für Ruhe und Ordnung. Dabei konnte es durchaus zu Handgreiflichkeiten kommen, Wendt mußte Hanß Joachim Freymann mit einer Ohrfeige zur Vernunft bringen, als dieser die Reihenfolge beim Schießen nicht einhalten wollte. Auch als Hans Fuhrmeister Heinrich Andreas Strohmeyer einen „Maußöhrigen gescholten“ und es darauf zwischen den beiden zu einer Schlägerei kam, wird Wendt eingeschritten sein.
Andere herausgehobene Positionen gab es damals nicht, insbesondere von einem Schützenkönig ist nirgendwo die Rede.
Während seines Amtsjahres beaufsichtigte der Schützenmeister zudem die Erledigung von Aufgaben, mit denen die Schützen betraut wurden.
Allerdings erfährt man über diese Aufgaben kaum etwas. Im 18. Jahrhundert fehlen schon jegliche Hinweise auf solche übergeordneten Pflichten wie Landesverteidigung und Heimatschutz.
Lediglich verwaltungsunterstützende und hilfspolizeiliche Funktionen lassen sich eindeutig ermitteln.
So halfen Schützen bei behördlichen Untersuchungen wie bei der erwähnten Visitation im Winter 1733/34.
Dann hatten am 12. August 1739 „…Vier Schützen […] den haasen dieb bewachen und nach dem Schloße bringen müssen…“ Die Gemeinde Wasserleben zahlte ihnen dafür 10 Gute Groschen zum Vertrinken7).
Und in den 1740er Jahren mussten Schützen häufiger Tross- und Backknechte sowie Rekruten bewachten, die im Dorf ausgehoben worden waren und sie zu den Sammelstellen der Armee, meist nach Halberstadt oder Magdeburg, eskortieren8).
Schießen und Feiern
Zurück zum Schützengelage. Das eigentliche Schießen begann mit dem Ausmarsch der Schützen. Sie trafen sich im Haus des Schützenmeisters und von dort ging es unter musikalischer Begleitung zum Festplatz, normalerweise dem Großen Anger, heute lediglich Anger genannt. Dabei marschierten Hanß Heinrich Schrader und seine Mitstreiter „…mit der drommel auß…“ Michel Wendt und seine Anhänger „…sind aber mit Musicanten außgezogen.“
Musikanten erregten zu dieser Zeit stets den Argwohn von Obrigkeit und Kirche, es ist daher nicht verwunderlich, dass die Schützenordnung von 1735 für die Zukunft bekräftigte: „Ist ihm [dem Schützenmeister] erlaubt die Trommel zu gebrauchen, Spiel-Leute sollen aber weg bleiben.“
Während des Schießens führte der Scheibenknecht das Regiment. Im Schießstand goss er die Kugeln, ermittelte die Schießergebnisse und hielt sie in Listen fest. Der Scheibenknecht hieß nicht umsonst so, man schoss auf Scheiben, nicht auf einen Vogel.
1734 versah Hans Heinrich Edler dieses Amt. Er zählte bereits 60 Jahre und arbeitete als Holzförster der Gemeinde, mit anderen Worten: öffentlicher Dienst. Er war kein Einwohner im oben skizzierten Sinne, sondern lediglich ein Bewohner. Obwohl also kein aktiver Schütze, wusste er sich trotzdem Autorität zu verschaffen; als ihn Hans Fuhrmeister, immerhin Ackermann und einer der größten Bauern des Dorfes, als „Rackerb), Schinder-Knecht und Pisangc)“ beschimpfte und mit einem Gewehr verprügeln wollte, weil er angeblich einen seiner Treffer falsch eingetragen hatte, ging Edler mit dem Messer auf Fuhrmeister los. Es floss kein Tropfen Blut, soviel zur Beruhigung!
Bei dem Gewehr, mit dem Fuhrmeister Edler angriff, handelte es sich um eine Flinte, also um ein leichteres Steinschloßgewehr mit glattem Lauf. Der Gebrauch der schwereren Büchsen mit gezogenem Lauf war bei den Pfingstschießen nicht mehr erlaubt.
Jeder Teilnehmer hatte einen Einsatz von einem Guten Groschen zu leisten. Alle Einsätze bildeten den Gewinnstock, der ausgeschossen wurde, wobei ungewiss ist, ob sich die Preisträger am Ende über Sachpreise oder Geldprämien freuen konnten. Wie schon oben gesagt, ermittelten die Schützen zu der Zeit in Wasserleben keinen König.
Übrigens: für einen Guten Groschen erhielt man damals fast zwei Liter Bier (1/2 Stübchen)9).
Was geschah nach dem Schießen?
Schrader und seine Freunde trafen sich ja nach Beendigung des Wettkampfes in dessen Haus; „…speisen bey Schradern, und theilen die gewinne…“, wie der Untersuchungsbericht festhielt. Damit verstießen sie bewusst gegen die wiederholt geäußerte Aufforderung der Obrigkeit, auf die Ausrichtung eines solchen Essens zu verzichten.
Über die Abendgestaltung der Gruppe um Wendt wird nichts berichtet.
Wahrscheinlich feierten auch sie im Haus des Schützenmeisters (siehe nebenstehende Abb.) weiter, zumal dieser hier ja mit der Konzession des ersten Neuen Kruges einen Ausschank betrieb.
Pastor Reckhart hielt ihnen vor, um Mitternacht des dritten Pfingsttages im Dorf noch geschossen zu haben, doch beteuerten beide Gruppen einhellig, davon überhaupt nichts zu wissen, „Die ersten wollen „umb 9“, und die anderen „ümb 10 uhr außeinander gegangen seyn.“
Na, wer soll denn das glauben? Das mehrfach bezeugte Spektakel im Ort an einem herrlichen lauen Frühsommerabend, den man Mitte Juni voraussetzen kannd) lassen eigentlich nicht vermuten, dass man so zeitig zu Bett gegangen ist.
Finanzen
Auch der freigiebigste Schützenmeister konnte das Geld für ein Schützengelage nicht so einfach aus dem Ärmel schütteln.
Um 1734 das Fest zu bestreiten, stellten das gräfliche Amt in Wernigerode 3 Thaler und die Gemeinde 2 Thaler 18 Gute Groschene) bereit. Dazu kamen 6 Thaler aus dem Ertrag einer Wiese, dem so genannten Schützenfleck. Insgesamt konnte der Schützenmeister also 11 Thaler 18 Gute Groschen ausgeben.
Obwohl mit diesen Einnahmen gleich zwei Schießen ausgerichtet werden mussten, hat es am Ende doch gereicht.
Die Ausgaben bestanden aus den Kosten für ein Faß Bier, das Wendt, und für ein halbes, das Schrader einzogen, zusammen 11 Thaler 5 Gute Groschen 8 Pfennig.
Wie alle anderen Bewohner des Ortes durften auch die Schützen ihr Bier nur bei den beiden Wasserleber Krügern kaufen, die ihrerseits ihr Bier ausschließlich von den Wernigeröder Brauern bezogen. Der Ausschank von auswärtigem oder auf dem Wasserleber Gut gebrautem Bier war im Dorf verboten.
Was normalerweise mit dem Rest der Einnahmen geschah, wissen wir nicht; 1734 erhielt Schrader die übrig gebliebenen 12 Gute Groschen 4 Pfennig ausgezahlt.
Getränke
Ein Schützenfest ohne Bier? Damals wie heute unvorstellbar!
Wie eben erwähnt, dienten sowohl die finanziellen Zuschüsse von Amt und Gemeinde als auch die Einnahmen vom Schützenfleck ausschließlich zum Kauf der eineinhalb Fass Bier.
Wobei der Ausdruck „Fass“ damals in der Regel nicht ein Gebinde bezeichnete, sondern für die größte Einheit des Flüssigkeitsmaßes für Bier stand. Bis ins 19. Jahrhundert hinein galten in der Grafschaft die alten Wernigeröder Maße. Danach enthielt ein Fass 409,8 l oder 112 Stübchen zu je 4 Quart.
Das Bier kann eigentlich nicht nur für die aus den Akten bekannten 21 Schützen und für Edler, den Scheibenknecht, bestimmt gewesen sein, denn jeder von ihnen hätte dann am Festtag fast 20 l Bier konsumieren müssen, selbst für einen geübten Trinker reichlich viel.
Aber über andere Mitfeiernde und somit Mittrinkende machen die Quellen keine Aussagen. Allenfalls kämen hier die Musikanten in Betracht, die bei Wendt aufspielten, vielleicht etwaige Zuschauer beim Wettschießen, möglicherweise Mitbewohner auf dem Hof des Schützenmeisters, auf dem man sich morgens traf und abends wieder einfand.
Ebenso denkbar, dass die Schützen jeweils einen Teil des Biers mit nach hause nahmen, das Getränk war ja nicht nur Genuss- sondern vor allem auch Nahrungsmittel.
Getrunken wurde wohl Breyhan10), ein süffiges obergäriges Bier, hell und aromatisch, mit etwas weniger Alkoholgehalt als heutiges Pils.
Schnaps, hier wäre vor allem an Branntwein zu denken, und andere alkoholischen Getränke spielten eine geringere Rolle, sie waren zu der Zeit relativ teuer. Denn die Kartoffel als preiswerter Rohstoff für die Spirituosenherstellung setzte sich erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts durch.
Bescheidenheit und Fürsorge
Von zwei Seiten her geriet das Schützenwesen im Laufe des 18. Jahrhunderts in Bedrängnis.
Auf der einen Seite der Pietismus, der besonders in der Verwaltung und der Kirchenleitung der Grafschaft einen stetig wachsenden Einfluss gewann.
Die Anhänger dieser evangelischen Frömmigkeitsbewegung wandten sich, obwohl häufig selber in leitender kirchlicher Funktion, gegen ihre eigene Amtskirche, indem sie die Verinnerlichung, die persönliche Hinwendung des einzelnen Christen zu Gott, in den Mittelpunkt ihrer religiösen Bestrebungen stellten. Der Pietismus legte größeren Wert auf persönliches Bibelstudium und Gebet als auf den gemeinsamen Gottesdienst der Gemeinde; das Priestertum des einzelnen Gläubigen war eines seiner Schlagworte.
Seine Anhänger werden dem höchst weltlichen Gruppenerlebnis des Schützengelages mit seinem Schießen, Schwelgen und Zechen weitgehend verständnislos gegenüber gestanden haben.
Auf der anderen Seite der aufgeklärte Absolutismus.
Der Staat versuchte alle Lebensbereiche seiner Untertanen zu durchdringen, um auf allen Ebenen das Wohl der Gemeinschaft nach seiner Vorstellung zu ordnen und zu befördern.
Wie ein guter Hausvater seine Kinder zu Anstand und Sitte anhielt, so glaubte auch der absolutistische Herrscher am besten zu wissen, wie jeder Einzelne sein tägliches Leben einzurichten habe. Ein gutes Beispiel dafür ist das Trauer-Reglement von 1745/53 für die Grafschaft Wernigerode11). Es zeigt deutlich, wie weit diese fürsorgliche Bevormundung ging, in dem es u.a. die Länge der erlaubten Trauerzeit von der verwandtschaftlichen Nähe des Trauernden zum Verstorbenen abhängig machte.
Dass ein weitgehend anarchisches oder zumindest zügelloses Schützengelage nicht in diese Zeit passte, liegt auf der Hand.
Kirchlicher Druck und daraus resultierende behördliche Maßnahmen schränkten die Pfingstschießen somit immer mehr ein, bis in den 1770er und 1780er Jahren solche Feste auf dem Lande gänzlich ausfielen.
Im Falle des Wasserleber Schießens drang die Obrigkeit unablässig darauf, den Aufwand für das Schützengelage möglichst bescheiden zu halten. Dazu erließ sie jedoch nicht einfach Verbote oder kürzte die Zuschüsse, wie etwa in Wernigerode, sondern behinderte mit fürsorglichen Anordnungen die Amtsführung des Schützenmeisters.
Er durfte bei der Organisation des Festes keine zusätzlichen persönlichen Ausgaben tätigen, eine Bestimmung, die auch und nicht zuletzt seinen möglichen finanziellen Ruin verhindern sollte. Die Schützenordnung von 1735 fasste in diesem Sinne vorausgegangene Ermahnungen zusammen: „Wenn sie schießen, sollen sie ein Faß Bier und nicht mehr einziehen.“ „Eßen soll dabey nicht mehr gegeben werden.“ „Ein jeder soll seinen eigenen tobak haben.“
Selbst Schrader, doch eigentlich 1734 kein offizieller Schützenmeister, gelangte in den Genuss der obrigkeitlichen Fürsorge. Zwar hatte er mit der Bewirtung seiner Anhänger ausdrücklich gegen eine amtliche Vorgabe verstoßen, doch konnte er seine dadurch entstandene zusätzliche finanzielle Belastung trotzdem teilweise oder gar ganz ausgleichen, weil an ihn der nicht aufgebrauchte Rest der Einnahmen ausgezahlt wurde. Zweifellos geschah auch dies unter dem Aspekt der Schuldenvermeidung!
Letztlich ist es eigentlich erstaunlich, wie lange sich die Obrigkeit mit einem gänzlichen Verbot der Schützengelage herumschlug. 1769 scheint mit zwölf vom Amt ausgewählten Schützen für eine längere Zeit das letzte Pfingstschießen stattgefunden zu haben. Achtzehn Jahre später, 1787, erhielten die Wasserleber wieder die Erlaubnis zur Durchführung eines Freischießens.
Feiern im Dorf
Wie schon in den Vorjahren, ging es zu Pfingsten 1734 auch im Dorf selber hoch her. Besonders im oberen Krug bei Andreas Steinbrecher herrschte eine Bombenstimmung; Knechte, Soldaten und andere junge Männer hatten sich hier in ausgelassener Runde zusammengefunden.
Dass dieses Feiern im Dorf mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hatte, wie das eigentliche Schützengelage, wird aus den Äußerungen des Wasserleber Pastors deutlich.
Pastor Reckhart beschwerte sich, daß „…alle 3 Heiligen Pfingsttaage biß Mitternacht ein heßlicher Lärm geweßen.“. Die jungen Burschen hätte sich aus „…einem Zinnern trinckgefäße oder Willkommen Zugesoffen…“ und dazu hätten fremde Spielleute Musik gemacht. Zudem hätten „…die jungen Kerls getanzt, und die Mädgen bey den Armen auß den heusern gezogen.“.
Steinbrecher bestätigte die Aussagen im Wesentlichen. Er beschwichtigte dabei aber.
Das Trinken aus dem Willkomm sei eine uralte Tradition im Dorf, immer wenn ein Encke, ein Jungknecht, in die Gemeinschaft der Älteren aufgenommen würde, müsse der neue die anderen Knechte freihalten und den Willkomm für zwei Thaler mit Bier füllen lassen.
Zu Musik und Tanz sei es rein zufällig gekommen. Unter seinen Gästen befanden sich eben auch zwei Spielleute aus Derenburg, und diese fingen dann plötzlich an zu spielen, er konnte rein gar nichts dagegen tun. Ebenso machtlos war er, als die Jugend nach der Musik zu tanzen begann.
Die Geschworenen bekräftigten Steinbrechers Darstellungen und wiesen auf die Tradition dieses Tanzvergnügens hin: es sei schon „… bey Magister Schmids Zeiten alßo gehalten worden…“
Folgerungen
Zwischen den beiden Schützengelagen einerseits und dem Feiern im Dorf andererseits existierten offensichtlich nur wenige Verbindungen: klar ist, Wendt und seine Leute zogen mit den beiden „Derenburger Bierfiedlers“, die bei Steinbrecher aufgespielt hatten, zum Schießen aus; Resultat: zwei Thaler Strafe wurden fällig!
Ansonsten finden sich kaum Berührungspunkte. Hier feierten die Schützen, Bauern und Familienväter in wirtschaftlich gesicherten Verhältnissen, dort im Alten Krug Knechte, Soldaten und junge Burschen, später sogar Mädchen.
Diese strikte Trennung erstaunt um so mehr, als zwischen den Schützen und den jungen Leuten durchaus enge verwandtschaftliche Beziehungen bestanden: Hans Schrader etwa, gerade 20 Jahre alt, der als Jungknecht den Willkomm bezahlen musste, war ein jüngerer Bruder von Hanß Heinrich Schrader, dem „zweiten“ Schützenmeister.
Die Dorfbevölkerung bestand natürlich nicht nur aus Familienvätern, jungen Burschen und Mädchen; doch wie die übrigen Bewohner die Pfingsttage und den Tag danach verlebt haben, das bleibt in den Quellen unerwähnt.
Das Schützengelage und das Feiern im Dorf, ob das die beiden Wurzeln des heutigen Schützenfestes in Wasserleben sind? Äußerst wahrscheinlich – aber wie so oft, ganz genau weiß man es natürlich nicht!
Personenregister
Dieser Beitrag ist in leicht veränderter Fassung erschienen in: Krasberg, H.-G. "1734 - Gelage und Exzesse in Wasserleben" in
Neue Wernigeröder Zeitung, 20 Jahrgang, 2009, Nr. 18, S. 21 u. Nr. 19. S. 22.
Anmerkungen
a) jeweils zwei Gemeindemitglieder, die ein Jahr lang dem Dorf vorstanden
b) Schinder (= Gerber, Straßenräuber), Abdecker, Abtrittsfeger, Totengräber
c) Bedeutung unbekannt, evtl. von Pisang malai.-niederl.: eine Bananenart oder von Paysan franz.: Bauer
d) der Dienstag nach Pfingsten war 1734 der 15.06.
e) 1 rthl (Reichsthaler) = 24 ggr (Gute Groschen) = 288 pf (Pfennig)
Quellen und Literatur
1) Landesarchiv Sachsen-Anhalt, MD, HA B 98 Fach 4-7 Nr. 33, Schützenwesen in der Grafschaft Wernigerode 134, Blatt 7r - 12r
2) Landesarchiv Sachsen-Anhalt, MD, H, Nr. 1020, Acta die Verpachtung der Gemeindegüter 1672, Blatt 142v
3) Landesarchiv Sachsen-Anhalt, MD, HA B 98 Fach 4-7 Nr. 33, Schützenwesen in der Grafschaft Wernigerode 134, Blatt 14r - 15r
4) ebd., Blatt 16r - 17r
5) zum Einfluß des Pietismus auf das Schützenwesen siehe: Jacobs, Eduard: Übersichtliche Geschichte des Schützenwesens in der Grafschaft Wernigerode, Wernigerode, 1886
6) siehe hierzu: Landesarchiv Sachsen-Anhalt, MD, H, Nr. 1016, Specification der Einwohner von Waßerleben 1747 sowie Kirchenbuch der ev. Kirchengemeinde St. Sylvestri Wasserleben, Band 1: Taufen, Heiraten, Beerdigungen, 1702-1749 u. Kirchenbuch der ev. Kirchengemeinde St. Sylvestri Wasserleben, Band 4: Taufen, 1750-1798, Heiraten, Beerdigungen, 1750-1803
7) Landesarchiv Sachsen-Anhalt, MD, H 9-7, Nr. 1370, Wasserlebische Gemeine-Rechnung und deren Abnahme betreffend 1706-1766, Abrechnung 1739/40
8) ebd., Abrechnungen der 1740er Jahre
9) ebd., Abrechnung 1734/35
10) Landesarchiv Sachsen-Anhalt, MD, HA B 98 Fach 4-7 Nr. 33, Schützenwesen in der Grafschaft Wernigerode 134, Blatt 2r
11) Landesarchiv Sachsen-Anhalt, MD, H 9-7, G I f, Nr. 3, Revision Traueredict von 1745, Blatt 4r f