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Wüstungen um Wasserleben

Alle bekannten Wüstungen auf der Gemarkung von Wasserleben sind Ortswüstungen, ihre Fluren fielen nicht wüst, sondern wurden von Wasserleben aus weiter genutzt.

 

Diese Ortswüstungen entstanden im Spätmittelalter, und wer genau wissen möchte, warum die Orte verschwanden, der kann sich im Kapitel „Entstehung der spätmittelalterliche Wüstungen“ über die Ursachen informieren.

 

Husler Feld

Husler

 

An die Lage Huslers erinnert noch heute das Flurstück „Husler Feld“, begrenzt von der Kreisstraße 1331 im Westen, dem Weg von Veckenstedt nach Langeln, dem alten Mühlenweg1), im Süden und dem Markweg im Osten.

Husleri oder Huslere wird der Ort bereits im 9. Jahrhundert genannt2). Bis zum Spätmittelalter war er bedeutender als Wasserleben.

Denn in seiner unmittelbaren Nähe, auf dem heutigen Flurstück „Auf dem Walle“, nördlich vom „Husler Feld“ und östlich des Markwegs, befand sich ein künstlicher Wall, auf dem ein befestigtes Haus oder eine Burg als Stammsitz des einheimischen Rittergeschlechts von Ler stand3). Die von Ler starben in der Mitte des 14. Jahrhunderts aus, und schon 1301 wird die Burg als seit einiger Zeit wüst bezeichnet4).

Ob dieser Wall zu dem einstigen Befestigungssystem gehörte, das nach 926 unter König Heinrich I. gegen die Einfälle der Ungarn errichtet wurde, ist möglich, aber unbewiesen4).

Phantasiebild von Husler (Heise Chronik)

Husler stand in der kirchlichen Hierarchie ursprünglich höher als Wasserleben: hier befand sich die Mutterkirche des Wasserleber Gotteshauses6).

Mit dem Blut- oder Hostienwunder von 12317) kehrte sich das Verhältnis allerdings allmählich um. Wasserleben entwickelte sich zu einem regional bedeutenden Wallfahrtsort und nach, und nach zogen nun die Bewohner von Husler dort hin8).

 

Die Leute wanderten also in den belebteren Ort.

 

Bestärkt wurden sie in ihrem Entschluß zur Abwanderung vermutlich auch von der schwierigen Wasserversorgung Huslers. Statt eines kleinen Baches stand in Wasserleben schließlich die Ilse zur Verfügung.

 

Kurz nach 1400 wohnte niemand mehr in Husler9).

Aber 1715 sollen noch einzelne Trümmer des Dorfes oder der Burg vorhanden gewesen sein. Denn am Karfreitag des Jahres hatten der Kupferschmied Hackelberg und der Schmied Strohmeyer, beide aus Wasserleben, eine Erscheinung, die sie veranlasste, dort, „in dem Husler, wo die Überreste eines alten Schlosses oder Klosters zu sehen [sind]“ nach einem Schatz zu graben; wie die Sache ausging, bleibt teilweise im Dunklen, Hackelberg soll seinen Fund in seiner Scheune begraben haben10), Strohmeyer ging entweder leer aus oder war diskreter und bewahrte Stillschweigen über seinen Schatz.

 

Delius berichtet 1810, damals gräflicher Archivar, dass einige Jahre vorher im „Husler Feld“ mehrere menschliche Schädel und ein uraltes Schlüsselbund entdeckt worden wären11).

 

Dass man hier auch heute noch auf Zeugen der ehemaligen Besiedlung treffen kann, beweisen nachfolgende Fotos, die der Bodendenkmalpfleger Thomas Vogt 2019 von seinen Funden gemacht hat.

 

Gürtelschnalle

Gürtelschnalle

Gürtelschnallen

Gürtelschnalle

Spielstein

Spielstein

Spielsteine, 13. Jahrhundert

Spielstein

Beschlag

vergoldeter Truhenbeschlag

Schreibgriffel

Schreibgriffel

verg. Anhänger

vergoldeter Anhänger

Bleikreuz

Bleikreuz

div. Zierbeschlägediv. Zierbeschläge

verg. Beschlag

vergoldeter Beschlag

 

Beschwörungstäfelchen

 

Beschwörungstäfelchen

 

 

 

 

 

Diese Täfelchen sollten vor Dämonen und Krankheiten schützen.

Beschwörungstäfelchen im Detail

im Detail

 

                                                                    

 

 

Gürtelschnalle

Gürtelschnalle
 

 

 

Pinzette

 

 

ScheibenfiebelScheibenfiebel, 9. Jh.

 

 

 

 

Schwertbeschlag

 

Schwertbeschlag rückseitig

 

Schnallen

Spielstein

 

Reliquienbeschlag

Reliquienbeschlag mit Aufschrift „Sa[nct]us Mathe[us]"

 

 

Nordler

Nordler

 

Westlich des Kellersberges und nördlich der Kreisstraße 1330, etwa gegenüber der heutigen Fuß- und Radwegebrücke über einen Graben, befindet sich das Flurstück „Nordler“. Hier darf die ehemalige Ortslage der kleinen gleichnamigen Siedlung vermutet werden.

 

Der Ort, vielleicht nur ein Weiler, wird erstmalig 1289 als Nordlere erwähnt12).

 

1468 war er wüst13). Mehr ist über Nordler nicht bekannt.


 

In Ribbenrode

Ribbenrode oder Rimmerode

 

Auch Ribbenrode war nur eine kleine Siedlung. Auf sie weist das Flurstück „In Ribbenrode“ südlich der Ilse direkt am nordöstlichen Ortsausgang von Veckenstedt hin.

 

1088 wird der Ort Richbrechtingenrod genannt, 1348 Rimrod14). Da keine weiteren Nennungen bekannt sind, dürfte er einige Zeit später wüst gefallen sein. Vielleicht hatte er ein ähnliches Schicksal wie Ellingen.

 

In den 1860er Jahren entdeckte man bei Eröffnung einer Kiesgrube im genannten Flurstück zwölf menschliche Skelette und drei oder vier Gebrauchsgegenstände, die damals allerdings zeitlich nicht eindeutig zugeordnet werden konnten15).           

Heise erwähnt in einer Anmerkung weitere Funde, einen Schädel und einen tönernen Hund, die um 1910 gemacht wurden16).

 
Möllinger Holz

Ellingen

 

Ellingen lag nördlich des Saßberges an der Grenze zu Veckenstedt. Die alte Flurbezeichnung Ellinge velde (1427) oder Ellinger Holze17), heute abgeschliffen zu

Möllinger Holz, erinnern an diesen Ort.

 

Die erste Erwähnung als Allinga datiert aus dem Jahr 117818), aufgegeben wurde Ellingen zwischen 1336 und 134319). Damit scheiden zwei Faktoren als Ursachen aus: die Pest, die 15 Jahre später ausbrach, und die Klimaverschlechterung, die erst gegen Ende des Jahrhunderts einsetzte.

 

Ellingen könnte ein Opfer der zahlreichen Fehden im nördlichen Harzvorland gewesen sein. Denn hier kämpften die Grafen von Wernigerode schon ab dem 13. Jahrhundert mit den Herzögen von Braunschweig und den Grafen von Regenstein um die territoriale Vorherrschaft20). Als die Kämpfe 1343 mit der Niederlage der Regensteiner endeten, war der Ort bereits wüst21). Denkbar, dass die Einwohner vor allem wegen des besseren Schutzes in den neuen Wallfahrtstort Wasserleben zogen.

 
Schauenswiese

Südschauen

 

Dort, wo heute das ehemalige Vorwerk Schauenteichen liegt, befand sich das Dorf Südschauen.

 

Als Suthscauno wird der Ort 1136 erwähnt22). 1482 ist in Wasserleben erstmalig von einer Schouwenschen Strate die Rede, da war Südschauen wohl schon wüst.

 

Jacobs berichtet, dass die Südschauensche Kirche um 1400 jährlich 6 Schilling an Abgaben zu zahlen hatte23). Da die Wasserleber Kirche zur gleichen Zeit nur 2 Schilling aufbringen musste24), wird Südschauen um die Zeit noch ein ansehnliches Dorf gewesen sein; 66 Bauernstellen soll es dort im Hochmittelalter gegeben haben25).

 

Der Name legt nahe, dass das Dorf eine hochmittelalterliche Ausbausiedlung von Schauen war, in der sich in der Zeit des Bevölkerungsanstiegs die Menschen, die im Ursprungsort kein Auskommen mehr fanden, ansiedelten26). In der Regel besaßen die Aussiedler ihre Höfe zu schlechteren Bedingungen, sie mussten mehr Dienste leisten und höhere Abgaben zahlen als die Bauern im Ursprungsort27).

 

Im Spätmittelalter, als die Bevölkerung wieder abnahm, eröffneten sich für die Einwohner Südschauens die Möglichkeit, Höfe zu günstigeren Bedingungen zu übernehmen. Dass sich viele von ihnen in der Schouweschen Strate in Wasserleben ansiedelten, lag, wie bei den ehemaligen Einwohnern von Husler, sicherlich auch an der Anziehungskraft des neuen Wallfahrtsortes.

 

Noch um 1810 war, nach Delius, die Erinnerung an das verlassene Dorf präsent, man sprach damals von Wüsteschauen, von den Wüstenschauen Teichen und vom Niederkirchhof28).

 

Südschauen Friedhof

 

 

Laut Grosse, Heimatforscher in den 1920er Jahren, wandelte sich der Begriff Niederkirchhof, auf Platt „nedderer Kerchhoff“, im 19. Jahrhundert zu „ledderner Kerchhoff“; er bezeichnet also den unteren Friedhof des alten Dorfes Südschauen29) heute ein kleiner Hain unweit der Wegkreuzung, Richtung Wasserleben.

 

 

 

Gedenkstein

 

 

 

 

Ein Gedenkstein erinnert hier an Luise Severine Ottilie Henneberg (*1845 +1850), eine früh verstorbene Tochter des damaligen Wasserleber Gutspächters30).

 

Ebenfalls im 19. Jahrhundert kam für Schauenteichen der Name Katerkumpen auf. Delius kannte ihn 1810 noch nicht31). Grosse erzählt die Anekdote, dass ein ehemaliger Soldat, der in den Befreiungskriegen 1813-1815 in Paris die Katakomben gesehen hatte, beim Anblick von eingebrochenen Mauerresten ausrief: „Dat ist hier ja as in de Katerkumpen in Paris!“32).

Heise hat über diese Begebenheit ein kleines Gedicht verfasst33).

 
Odorfer Feld

Odorf

 

Obwohl Odorf aller Wahrscheinlichkeit nach auf Berßelscher Gemarkung hart an der Grenze zu Wasserleben lag34), gehört es doch in die Reihe der Wasserleber Wüstungen.

Denn an das untergegangene Odorf erinnern nur noch die Flurstücke „das Odorfer Feld“ nördlich und „der Odorfer Anger“ westlich des Bahnhofes, beide auf der Gemarkung von Wasserleben.

 

Das Dorf, 1150 Odorp genannt, ist nicht zu verwechseln mit dem heutigen gleichnamigen Wasserleber Ortsteil Odorf.                                                             

nach Odorf

Zwar hatte es als Sitz eines Gaugerichts eine herausgehobene Bedeutung, doch konnte diese den Untergang nicht aufhalten. Angeblich sollen die Bewohner nach Wasserleben und Südschauen gezogen sein, und da Südschauen 1482 wohl schon wüst war, muss Odorf deutlich früher verlassen worden sein. Der Ort fehlt bereits 1400 in einem Register des Archidiakonats35).

Warum Odorf unterging, ist unbekannt. Verlor es vielleicht das Gaugericht? Wenn tatsächlich ein Teil seiner Bewohner nach Südschauen zog, dürften die bäuerlichen Lasten in Odorf schwerer als die in Südschauen gewesen sein36). Die Odorfer verließen ihren Ort also unter anderem, um ihren drückenden Lebensumständen zu entfliehen.

 

Nach Delius soll um 1810 noch altes Mauerwerk vorhanden gewesen sein37).

 

H.-G. Krasberg 2020


Quellen und Literatur

1) Heise, Wilhelm: Chronik des Dorfes Wasserleben, handschriftlich, unveröffentlicht, 4 Bde., Wasserleben, 1964, Bd. 3, S. 296

2) Jacobs, Eduard: Wüstungskunde des Kreises Grafschaft Wernigerode, Historische Kommission für die Provinz Sachsen und für Anhalt (Hrsg), Berlin, 1921, S. 55

3) ebd. S. 55 f

4) ebd.

5) siehe hierzu: Gärtner, Tobias: Heinrich I. und der Burgenbau, in: Freund, Stephan u. Gabriele Köster (Hrsg.): 919 - Plötzlich König, ohne Ort, ohne Jahr (2019)

6) Jacobs, Eduard: Wüstungskunde des Kreises Grafschaft Wernigerode, Historische Kommission für die Provinz Sachsen und für Anhalt (Hrsg), Berlin, 1921, S. 56

7) ebd.

8) ebd., S. 57

9) ebd.

10) Ruberg, Johann Christian: Ein Beitrag zur Geschichte der Goldmacherei im Harz, in: Zeitschrift des Harz-Vereins für Geschichte und Altertumskunde 21. Jahrgang, 1888, S. 136

11) zitiert nach: Heise, Wilhelm: Chronik des Dorfes Wasserleben, handschriftlich, unveröffentlicht, 4 Bde., Wasserleben, 1964, Bd. 3, S. 296

12) Jacobs, Eduard: Wüstungskunde des Kreises Grafschaft Wernigerode, Historische Kommission für die Provinz Sachsen und für Anhalt (Hrsg), Berlin, 1921, S. 64

13) ebd. u. Heise, Wilhelm: Chronik des Dorfes Wasserleben, handschriftlich, unveröffentlicht, 4 Bde., Wasserleben, 1964, Bd. 3, S. 286

14) Jacobs, Eduard: Wüstungskunde des Kreises Grafschaft Wernigerode, Historische Kommission für die Provinz Sachsen und für Anhalt (Hrsg), Berlin, 1921, S. 65

15) ebd. u. Heise, Wilhelm: Chronik des Dorfes Wasserleben, handschriftlich, unveröffentlicht, 4 Bde., Wasserleben, 1964, Bd. 3, S. 293

16) Heise, Wilhelm: Chronik des Dorfes Wasserleben, handschriftlich, unveröffentlicht, 4 Bde., Wasserleben, 1964, Bd. 3, S. 312

17) Jacobs, Eduard: Wüstungskunde des Kreises Grafschaft Wernigerode, Historische Kommission für die Provinz Sachsen und für Anhalt (Hrsg), Berlin, 1921, S. 50

18) ebd.

19) ebd.

20) Habermann, Jan: Die Herrschaftsausweitung der Grafen von Wernigerode am Nordharzrand, 2008, S. 30 http://www.qucosa.de/fileadmin/data/qucosa/documents/5238/data/GrafenvonWernigerode.pdf (Zugriff am 23. 02 2013)

21) Jacobs, Eduard: Wüstungskunde des Kreises Grafschaft Wernigerode, Historische Kommission für die Provinz Sachsen und für Anhalt (Hrsg), Berlin, 1921, S. 50

22) ebd. S. 72

23) ebd.

24) Heise, Wilhelm: Chronik des Dorfes Wasserleben, handschriftlich, unveröffentlicht, 4 Bde., Wasserleben, 1964, Bd. 1, S. 40

25) Jacobs, Eduard: Wüstungskunde des Kreises Grafschaft Wernigerode, Historische Kommission für die Provinz Sachsen und für Anhalt (Hrsg), Berlin, 1921, S. 72

26) Abel, Wilhelm: Geschichte der deutschen Landwirtschaft vom frühen Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert, Stuttgart, 1967, S. 67 ff

27) ebd. u. Jacobs, Eduard: Wüstungskunde des Kreises Grafschaft Wernigerode, Historische Kommission für die Provinz Sachsen und für Anhalt (Hrsg), Berlin, 1921, S. 73

28) zitiert nach: Heise, Wilhelm: Chronik des Dorfes Wasserleben, handschriftlich, unveröffentlicht, 4 Bde., Wasserleben, 1964, Bd. 3, S. 320

29) zitiert nach: ebd. S. 332

30) Heise, Wilhelm: Chronik des Dorfes Wasserleben, handschriftlich, unveröffentlicht, 4 Bde., Wasserleben, 1964, Bd. 3, S. 338

31) ebd. S. 320

32) zitiert nach: Heise, Wilhelm: Chronik des Dorfes Wasserleben, handschriftlich, unveröffentlicht, 4 Bde., Wasserleben, 1964, Bd. 3, S. 330

33) Heise, Wilhelm: Chronik des Dorfes Wasserleben, handschriftlich, unveröffentlicht, 4 Bde., Wasserleben, 1964, Bd. 3, S. 334

34) Jacobs, Eduard: Wüstungskunde des Kreises Grafschaft Wernigerode, Historische Kommission für die Provinz Sachsen und für Anhalt (Hrsg), Berlin, 1921, S. 64

35) Heise, Wilhelm: Chronik des Dorfes Wasserleben, handschriftlich, unveröffentlicht, 4 Bde., Wasserleben, 1964, Bd. 3, S. 284

36) Jacobs, Eduard: Wüstungskunde des Kreises Grafschaft Wernigerode, Historische Kommission für die Provinz Sachsen und für Anhalt (Hrsg), Berlin, 1921, S. 64

37) Heise, Wilhelm: Chronik des Dorfes Wasserleben, handschriftlich, unveröffentlicht, 4 Bde., Wasserleben, 1964, Bd. 3, S. 282