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Anfänge

Will man über die Geschichte eines Ortes berichten, stößt man schon zu Beginn auf ein großes Problem, denn die Frage nach dem Alter lässt sich in der Regel nur unzureichend beantwortet.

Wasserleben bildet da keine Ausnahme.

 

Häufig werden Ersterwähnungen zu Altersbestimmungen von Orten herangezogen, obwohl sie dazu eigentlich ungeeignet sind.

 

Schriftlichkeit, Überlieferungsverluste und Fälschungen sind hier die Stichworte.

 

Schriftliche Urkunden reichen in Mitteleuropa etwa bis ins 9. Jahrhundert zurück, da waren beispielsweise im Harzvorland viele Orte schon einige hundert Jahre alt.

 

Enthielt ein Schriftstück tatsächlich den Name eines Ortes, musste der Zufall dafür sorgen, dass im Laufe der Zeit keine Überlieferungsverluste auftraten. Mäusefraß, Feuer und Langfinger waren die natürlichen Feinde alter Urkunden.

 

Hat nun eine mittelalterliche Urkunde mit einem Ortsnamen bis heute überdauert, bleibt immer noch zu klären, ob nicht vielleicht eine Fälschung vorliegen könnte.

Im Mittelalter waren gefälschte Urkunden nicht selten. Sie konnten als Rekonstruktionen Urkundenverluste ersetzen, um anerkannte Rechte zu wahren, oder sie konnten als mehr oder weniger frei erfundene Konstrukte Rechte reklamieren, die eigentlich andere besaßen.

 

Es versteht sich von selbst, dass Ortsnamen in Fälschungen nicht als Ersterwähnungen gelten können.

Im Fall unseres Dorfes sind drei frühe Nennungen bekannt.

 

Eindeutig scheint Wasserleben zuerst 1187 in einer Urkunde des Klosters Drübeck erwähnt worden zu sein: Graf Albert von Wernigerode kaufte für das Drübecker Kloster eineinhalb Hufen Land von Heinrio von Waterlieren [19. Zeile von oben, links].

Wer sich die Urkunde im Original anschauen möchte findet sie im Landesarchiv Sachsen-Anhalt1).

                                                   zur Urkunde Kloster Drübeck

zur Transkription

 

1018, also 169 Jahre früher, wurden in der so genannten Stiftungsurkunde des Klosters Ilsenburg2) alle damaligen Besitzungen dieses Klosters aufgeführt, darunter „… in Lieren I mansum…“, also: in Lieren eine Hufe [vierte Zeile von unten, links].

zur Urkunde Kloster Ilsenburg

 

Und wiederum 54 Jahre früher, 964 hießt es im Güterverzeichnis des Klosters Gernrode3) „…in Lere unum mansum…“, also, fast wie in der Ilsenburger Urkunde: in Lere eine Hufe [sechste Zeile von unten, Mitte].

zur Urkunde Kloster Gernrode

 

Zwei dieser Urkunden bereiten Probleme.

 

Die ältere von 964 ist eine mittelalterliche Fälschung aus dem 13. Jahrhundert, wie bereits 1867 im Codex Diplomaticus Anhaltinus ausführlich dargelegt4). Zudem muss das hier genannte Lere nicht zwangsläufig mit Wasserleben identisch sein. Es kann sich auch um den bedeutenderen aber später wüst gefallenen Nachbarort Husler, südöstlich von Wasserleben, handeln, oder gar um „…eine nicht mehr vorhandene Dorfmark in der Nähe der Gegensteine vor dem Harz.“5).

 

In der Ilsenburger Urkunde von 1018 führt die Bezeichnung Lieren zu ähnlichem Kopfzerbrechen, es könnte Wasserleben gemeint sein oder aber Husler.

Doch man braucht gar nicht lange zu grübeln, denn wie sich schon vor Jahrzehnten herausgestellte, liegt auch hier eine Fälschung aus dem 13. Jahrhundert vor6).

 

Was bleibt, ist die Urkunde des Klosters Drübeck von 1187, hier stimmt der Name und des Dokuments scheint echt zu sein.

 

Nachfolgende Textstelle gilt nach heutigem Kenntnisstand also als erste urkundliche Erwähnung des Dorfes Wasserleben.

 

image

 

Der Ortsname des Dorfes deutet auf eine Siedlungsgeschichte von etwa 1.800 Jahren hin.

Er lautete ursprünglich Waterler, Wasserler oder eben, wie in der erwähnten Drübecker Urkunde, Waterlieren. Ortsnamen mit den Endungen -lar, -ler oder -lieren (Weideplatz, unbebautes Land) stammen wahrscheinlich aus der Zeit vor der Völkerwanderung, die um 300 n.Chr. einsetzte. Und mit ihnen sind sowohl damals schon bestehende Siedlungen als auch Neugründungen benannt worden7).

zu den Ortsnamen

 

Noch weiter in die Vergangenheit weisen die Ergebnisse von archäologischen Ausgrabungen in der näheren und weiteren Umgebung von Wasserleben.

 

So fand man in den 1970er Jahren im nördlichen Harzvorland Gräber aus der Jungsteinzeit (in Mitteleuropa etwa ab 5500 v.Chr.) und der Bronzezeit (in Mitteleuropa etwa ab 2200 v.Chr.)8).                                                             

zu ersten Ausgrabungen

 

Als dann Anfang der 2000er Jahre im Zuge des Baus der B 6n umfangreiche Grabungen durchgeführt wurden, traten Funde aus einem Zeitraum von der Jungsteinzeit bis ins Mittelalter zutage, die eine nahezu lückenlose Siedlungsgeschichte dieser Region seit rund 7.000 Jahren erkennen lassen9).

zu weiteren Ausgrabungen

 

Auch der Brotstein, der Menhir am Ortsausgang nach Veckenstedt, dürfte ein Zeuge für diese lange Siedlungsgeschichte sein.

         zum Brotstein

 

In jüngster Zeit fanden Anfang der 2020er Jahre auf Wasserleber Flur erste Grabungen und Vermessungen des Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt statt. Vielleicht können ihre Ergebnisse bald Licht ins Dunkle der Vorgeschichte unseres Dorfes bringen und Aufschluss über das frühe Verhältnis der drei Siedlungen Husler, Waterlieren und Nordler (siehe Kapitel „Wüstungen um Wasserleben") liefern, das heute noch weitgehend unbekannt ist.

 

Fazit: zufällig wurde Wasserleben 1187 in einer Urkunde erwähnt, die, ebenfalls zufällig, heute noch vorhanden ist. Damals bestand der Ort vermutlich schon mehr als achthundert Jahre, war möglicherweise aber bereits einige tausend Jahre alt.

 

Dieser Beitrag ist in leicht veränderter Fassung erschienen in: Krasberg, H.-G. "Wie alt ist Wasserleben?" in Neue Wernigeröder Zeitung, 24. Jahrgang, 2013, Nr. 11, S. 20


Quellen und Literatur

1) Landesarchiv Sachsen-Anhalt, MD, H 9-12, 4 Fach 1, Nr. 9, Ersterwähnung von Wasserleben 1187, Transkription mit Anmerkungen bei: Jacobs, Eduard: Urkundenbuch des in der Grafschaft Wernigerode belegenen Klosters Drübeck vom Jahr 877-1594. Halle 1874, S. 15-18

2) Landesarchiv Sachsen-Anhalt, MD, H 9-2, 3 Fach 7, Nr. 2, Urkunden Ilsenburg, Transkription mit Anmerkungen bei: Jacobs, Eduard: Urkundenbuch des in der Grafschaft Wernigerode belegenen Klosters Ilsenburg vom Jahr 1003-1460. Halle 1875, S. 2

3) Landesarchiv Sachsen-Anhalt, MD, Z 1, Nr. 9, Kloster Gernrode, Transkription mit Anmerkungen bei: Heinemann, Otto von (Hrsg.): Codex Diplomaticus Anhaltinus, 1. Theil: 936-1212, 1. Abtheilung: 936-1123, Dessau, 1867, S. 27 ff, Übersetzung mit Erläuterungen bei: Hartung, Hans: Zur Vergangenheit von Gernrode, Gernrode, o.J. (vor 1919), S. 37-45

4) Heinemann, Otto von (Hrsg.): Codex Diplomaticus Anhaltinus, 1. Theil: 936-1212, 1. Abtheilung: 936-1123, Dessau, 1867, S. 29

5) Hartung, Hans: Zur Vergangenheit von Gernrode, Gernrode, o.J. (vor 1919), S. 44

6) Kleinen, Michael: Bischof und Reform, Burchard II. von Halberstadt (1059-1088) und die Klosterreformen, Husum, 2004, S. 33 f

7) Seedorf, Hans Heinrich u. Hans-Heinrich Meyer (Hrsg.): Landeskunde Niedersachsen, Natur und Kulturgeschichte eines Bundeslandes, Bd. II: Niedersachsen als Wirtschafts- und Kulturraum. o.O., 1996, zitiert nach: http://www.kirchner-raddestorf.de/heimat/regional/ndswohn.htm#_Toc28601829 (Zugriff am 10.10.2017)

8) Nehrkorn, Heinrich: Wasserleben, Vergangenheit und Gegenwart, unveröffentlicht, Wasserleben, 1988, S. 4

9) Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie, Sachsen-Anhalt: Kulturen im Harzvorland, o.J., http://www2.archlsa.de/grabungen/b6n/index.htm (Zugriff am 16. 01.2013)